Langzeitarbeitslose leiden oft unter ihrer Lebenssituation - sie sind ohne Arbeit und sie sind psychisch krank. Zwei Jahre lang hat die Bürgerstiftung mit 100.000 Euro ein Pilotprojekt gefördert, das Langzeitarbeitslosen bei der psychischen Gesundung helfen sollte. Ein Gespräch mit der Psychologin Sabine Luberichs von der Fachhochschule der Diakonie über ihre Erfahrungen.
Frau Luberichs, Sie haben im Rahmen unseres Pilotprojekts mit vielen Langzeitarbeitslosen gearbeitet. Wie kann Arbeitslosigkeit die Menschen verändern?
Jeder Mensch reagiert anders. Was alle gemeinsam haben, ist das große Fragezeichen, das sich drohend über ihrem Leben ausbreitet und alles verändert. Wenn sie nicht sofort neue Arbeit finden, wächst das Loch in ihrem Lebenslauf stetig. Ebenso wachsen Scham-, Angst- und Schuldgefühle und können sich auch körperlich manifestieren. Im besten Fall gelingt es, die negative Energie des Jobverlusts in Motivation umzuwandeln und/oder sich Hilfe zu holen. Aber die Tendenz zur Flucht ist menschlich und so ziehen sie sich vielleicht eher zurück und laufen Gefahr in soziale Isolation abzurutschen. Oder sie suchen sich kurzfristige Erleichterung, z.B. in blindem Aktionismus oder Aggressivität sowie anderen Kompensationen - im schlimmsten Fall Drogen und/oder Alkohol. Zusätzlich sehen sich langzeitarbeitslose Menschen mit Ablehnung und Vorurteilen aus ihrer Umgebung konfrontiert, die weiter zur Stigmatisierung beitragen. Das kann einen Menschen brechen.
Langzeitarbeitslose, die vom Jobcenter Gütersloh betreut werden, konnten mit Ihrer Hilfe eine individuelle, begleitete Selbsthilfe beginnen. Wie haben die Menschen auf Ihr Angebot reagiert?
Auch wenn viele Menschen mit Zurückhaltung und Skepsis ins erste Gespräch kamen, überraschte mich der Vertrauensvorschuss, der mir oft nach kurzer Zeit geschenkt wurde und der die Zusammenarbeit so fruchtbar machte. Sie müssen bedenken, dass die meisten Teilnehmer:innen lange nicht mehr offen reden konnten, ohne Verurteilungen und Abwertungen zu erleben.
Wie konnten Sie helfen und unterstützen?
Ich sehe, höre und nehme ernst! Ich helfe den Menschen dabei, sich selbst, ihr Verhalten, ihre Probleme und deren Entstehungen besser zu verstehen. Letztlich geht es um Hilfe zur Selbsthilfe.
Wie lief die Zusammenarbeit der verschiedenen Projektpartner - also vor allem das Jobcenter des Kreises Gütersloh und die Fachhochschule der Diakonie?
Die Zusammenarbeit der Projektpartner habe ich stets als sehr vertrauensvoll und unkompliziert empfunden. Allen Beteiligten war von Beginn an die Relevanz und Notwendigkeit eines einfachen, leicht erreichbaren Hilfsangebotes klar, das finanziert, professionell vorbereitet und ausgeführt werden musste. Das ist uns gelungen und dafür bin ich allen Beteiligten sehr dankbar.
Wenn Sie auf das Pilotprojekt zurück blicken - was nehmen Sie besonders mit?
Eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe kann heilsam sein, braucht aber Zeit zu wirken. Deshalb freut es mich um so mehr, wenn ich auch lange nach der Begleitung noch positive Rückmeldungen über meine Teilnehmer:innen bekomme. Zum Beispiel hatte eine Arbeitsberaterin mit einem Bewerber Schwierigkeiten im Umgang, der stets von Misstrauen und Aggressivität geprägt war. Nach unserer Zusammenarbeit berichtete sie mir, dass sich die Kommunikation nach und nach entspannter und wertschätzender gestaltet habe und einer Arbeitserprobung somit nichts mehr im Weg stünde.
Informationen kompakt
+ Förderung: 100.000 Euro über zwei Jahre, gut 90 Menschen wurden betreut
- Projekt-Partner: Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld, Jobcenter Kreis Gütersloh, Bürgerstiftung Gütersloh
- Projektpartner Jobcenter / Rolf Erdsiek bilanziert: „Die begleitete Selbsthilfe kann ohne lange Wartezeiten wie für einen Psychotherapieplatz umgesetzt werden, sie ist unbürokratisch, nierigschwellig und für ALG II-Empfänger i.d.R. gut umsetzbar; sie klärt Problemlagen und schlägt eine Brücke in eine weiterführende psychosoziale Hilfsstruktur.“
- Wissenschaftliche Begleitung durch Prof. Dr. Pascal Wabnitz (FH Diakonie): „Die erste Daten zeigen deutlich, dass neben einer Besserung der psychischen Verfassung auch eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit d.h. des Glaubens an die eigenen Fähigkeiten, sich selbst zu helfen, durch die Teilnahme an dem Projekt erreicht werden konnte. Nun gilt es, solche Angebote für die breite Masse zu erproben.“
Foto: Siegmund Bergemann
Rolf Erdsiek (Jobcenter Gütersloh), Katrin Meyer (Vorstandsmitglied Bürgerstiftung Gütersloh), Sabine Luberichs und Prof. Dr. Pascal Wabnitz (beide Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld) ziehen in der Geschäftsstelle der Bürgerstiftung Bilanz des Pilotprojekts für Langzeitarbeitslose.